Rehabilitations- und Behindertenfahrräder


Große Auswahl - Probleme mit Krankenkassen; aus: RAD im Pott, Winter 1999






Machen wir für die kommende Ausgabe der RAD im Pott doch einen Artikel über Spezialräder für behinderte Menschen, so die selbstauferlegte Vorgabe der RiP-Redaktion vor einigen Monaten. Um dann feststellen zu müssen, welch vielschichtiges Metier sich hier auftut. Dazu die Erkenntnis, daß es das Fahrrad für behinderte Menschen kaum geben kann, so unterschiedlich sind die von der Art und vom Grad der Behinderung ausgehenden Ansprüche. Daher nahm die Redaktion von der Beschreibung des für die jeweilige Behinderung optimalen Hoening Rollfiets NTRades erst einmal wieder Abstand. Aber selbst das Zusammenstellen der Hersteller und ihrer jeweiligen Modellpalette gestaltete sich als umfangreiche Recherche. Dazu wurden im Vorfeld Produzenten sowie Händler angeschrieben, wobei vor allem letztere kaum Resonanz zeigten (über die Gründe hierzu später mehr). Ein Besuch der Reha-Fachmesse in Düsseldorf Anfang November ergänzte die Recherchen. Wobei bereits an dieser Stelle konstatiert werden darf, daß der Satz "Radfahren mit Behinderung - unmöglich" heute kaum noch Geltung besitzt. Aber nun in alphabetischer Reihenfolge die Präsentation der Hersteller und ihrer Modelle (wenn Vertriebspartner genannt wurden, sind diese mit aufgeführt):

Draisin GmbH, Am Risisee 1, 77855 Achern Dieser Hersteller führt eine umfangreiche Palette an behinderten- und seniorengerechten Fahrrädern sowohl für Erwachsene wie für Kinder. Da gibt es Therapie-Tandems sowohl als Zweirad ("Lotse") wie auch als Dreirad ("Capitän Duo"); dann das klappbare Dreirad "Shopi" mit zwei lenkbaren Vorderrädern, das eher konventionelle Dreirad "Trici" sowie das Sesseldreirad "Relax" (siehe Titelbild) mit niedrigem Schwerpunkt. Fast wie eine Rikscha sieht das Dreirad "Draisin Plus" aus mit vorn integriertem Schalensitz. Für Kinder gedacht sind die Modelle "Rosi 22" und "Mini 16 /20" sowie das Dreirad "Mini 12".

2007 nicht mehr zu erreichen: Gehrmeyer-Schuchmann (GS), Postf. 6031, 49093 Osnabrück. GS bietet neben einem sehr umfangreichen Programm an Fahr-, Sitz- und Mobilitätshilfen auch Behinderten- und Therapiefahrräder an, sowohl Zweiräder mit entsprechenden Stützeinrichtungen wie auch Dreiräder, diese in Größen von 12, 16, 20, 24 und 26 Zoll (letztere nur als Dreirad), Vertriebspartner für GS-Räder sind Sanitätsfachhäuser.

Hase Spezialräder, Karl-Friedrich-Str. 88, 44795 Bochum. Seine Spezialität sind zum einen dreirädrige Liegeräder, so das gefederte und faltbare "Lepus" sowie das sehr wendige und leichte "Kett-Wiesel", zum anderen das kompakte Tandem "Pino", bei dem man hinten aufrecht sitzt (und das Rad lenkt), während vorne ein Liegesitz montiert ist. Vertrieben werden die Räder über die Firmen "tri-mobil" in Bochum, (Adresse s.u.), sowie "Liegen und Treten" in Gladbeck, Bülser Str. 53.

Walter Haverich GmbH, Postfach 101364, 33513 Bielefeld. Haverich bietet ein sehr breites Spektrum von Behinderten- und Rehabilitationsfahrrädern an, die nahezu alle Bereiche abdecken. Grundlage für die in allen möglichen Variationen für alle Körpergrößen lieferbaren Spezialräder sind Dreiräder in eher konventioneller Machart mit zwei hinteren Rädern. Auch hier erfolgt der Vertrieb über die Sanitätshäuser.

Roll-tech Fa. Reineke, Am Schulzenhof 21, 46509 Xanten. Auch diese Firma bietet eine derartige Rollstuhl-Fahrrad-Kombination mit dem Namen "Rollstuhlboy" an, darüber hinaus Therapiedreiräder in Größen zwischen 12 und 28 Zoll (alle mit zwei hinteren Rädern). Die großen Dreiräder zeichnen sich durch einen sehr niedrigen Durchstieg von nur 18 cm aus.

Speedliner-Deutschland GmbH, Josephinenstr. 22, 44807 Bochum. Unter der Bezeichnung Worksman: "Team Dual Trike" bietet man ein Dreirad-Tandem an, bei dem beide Radelpartner sehr kommunikativ nebeneinander sitzen und sogar die Antriebe getrennt laufen. Außerdem das "Worksman Team Single Trike", ein leichtgängiges und bequemes Sesseldreirad mit guter Straßenlage sowie das wieder eher konventionelle Dreirad "Adult Lite Trike". Vertriebspartner sind in Duisburg Radwerk und Hardacker, in Essen Tretobratze, in Mülheim Engel und Speedy Gonzales sowie in Oberhausen Watzup.

Speedy-Reha-Technik, Habichtsweg 7a, 33129 Delbrück. Dieser Hersteller hat ein zusammengekuppeltes Gespann bestehend aus einem normalen Fahrrad und einem Rollstuhl (jedes Modell mit CE/GS-Zeichen kann hierfür verwendet werden), genannt "Speedy-Tandem", im Programm, wobei der Rollstuhl sogar über eine separate Öldruckbremse verfügt.

Traders GmbH, Akazienweg 80, 50827 Köln. Auch hier gibt es unter der Bezeichnung " Easy-Star Merci" eine leicht entkuppelbare Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, wobei hier der Fahrradteil analog einer Rikscha wieder hinten an einen Rollstuhl (auch hier fast alle Modelle verwendbar) angebracht wird. Ansonsten werden die Dreiräder "Easy-Star Rider" und "Easy-Star Amigo" angeboten. Letzeres ist als Tandem zum Nebeneinander Sitzen konzipiert.

tri-mobil, Hernerstr. 86, 44791 Bochum. Neben den Rädern der Firma Hase "Lepus", "Kett-Wiesel" und "Pino" sowie den bei Hoening vorgestellten Modellen "Copilot", "T-Bike" und "Rollfiets NT" bietet tri-mobil auch die Sesseldreiräder "Trio" (zwei Räder hinten), "Anthrotech" und "Quix" (jeweils mit zwei lenkbaren Vorderrädern) an. Außerdem hat man auch noch eher konventionelle Dreiräder in drei verschiedenen Größen im Angebot.

Wulfhorst GmbH, Herzebrocker Str. 5, 33330 Gütersloh. Wulfhorst ist einer der traditionellen Hersteller in diesem Metier, entsprechend umfangreich und vielseitig ist das Programm, wobei die Dreiräder in allen möglichen Variationen und Größen für Kinder wie auch für Erwachsene dominieren. Dabei gibt es auch Modelle mit besonders tiefem Durchstieg sowie ein dreirädriges Mountainbike und Rennrad. Als Vertriebspartner sind die Sanitätshäuser sowie das "Fahrradies" in Essen, Frankenstr. 40-46, genannt.

Die meisten Hersteller passen übrigens ihre Modelle den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Nutzers an. Darüber hinaus bieten einige ihre Fahrradmodelle mit einem Elektroantrieb an. Das gilt auch für die Hand-Bikes. Bei diesen handelt es sich um eine Kombination zwischen einem Rollstuhl und einem vorne in Armhöhe angebrachten Handkurbelantrieb. Die Antriebe dieser Hand-Bikes weisen überwiegend hochwertige Naben- oder Kettenschaltungen sowie Bremssysteme auf, wie man sie vom Fahrrad her kennt. Die Hersteller und ihre Modelle:

Die Firma Gehrmeyer-Schuchmann (Adresse s.o.) bietet das Modell "GS-tracker" an, die Firma Speedy-Reha-Technik(Adresse s.o.) die Modelle "Speedy-Bike" und das eindeutig sportlich orientierte "Speedy-B 26". Die Firma Stricker (Klotzberg 64, 77815 Bühl/Baden) hat die Modelle "City 7", "Ultra 21 plus", "Ultra Touring 24" und "Ultra Sport 26" im Programm, für Kinder bis etwa 12 Jahren gibt es das "City-Kid II". Die Firma Reha-Trend(Draisstr. 47, 67346 Speyer) bietet den "Booster" als Freizeit- und Sportgerät für Erwachsene und Kinder an. Eindeutig sportlich orientiert sind die Hand-Bikes von Alois Paschberger aus Österreich (Kleinfeld 8b, A-6341 Ebbs).

Angesichts eines zwar wachsenden, aber immer noch recht kleinen Marktes, ist es schwierig eine derartige Vielfalt an Rädern z.B. für Probierzwecke vorzuhalten, zumal die individuellen Ansprüche je nach Behinderungsart sehr unterschiedlich sind. Daher beschränken sich einige der genannten Händler darauf, entsprechende Kontakte zu Herstellern zu vermitteln bzw. Reparaturen und Wartung derartiger Spezialräder zu übernehmen. Auch werden zweckentsprechende Änderungen an normalen Serienrädern (z.B. an der Pedalerie) durchgeführt. Was übrigens oftmals preiswerter sein kann als im Sanitätsfachhandel. Denn dieser gibt, wie die RiP-Recherchen ergaben, seine zu reparierenden Räder z.T. selbst an die Fahrradwerkstätten weiter, da man mit der immer komplizierteren Fahrradtechnik (Schaltungen, Bremsen) des öfteren überfordert zu sein scheint.

Womit wir überleiten auf das letzte Kapitel zum Thema Behindertenfahrräder, die Krankenkassen. Hierauf war die Redaktion erst im späteren Verlauf ihrer Recherchen gestoßen (worden), als verschiedene Radhändler unabhängig voneinander berichteten, daß es sowohl beim Verkauf wie auch bei Reparaturen massive Probleme bei den Abrechnungen mit den Kassen gebe. Selbst ein simpler Reifenwechsel würde nicht beglichen, obgleich man diesen viel preiswerter bewerkstelligen könne als der Sanitätsfachhandel.

Die RiP-Redaktion weitete daher ihre Umfragen auch auf die Krankenkassen aus, forderte sie zu einer Stellungnahme zu diesem Sachverhalt auf. Die Kassen bestätigten zunächst prinzipiell die so geschilderten Erfahrungen. Maßgebend für eine Erstattung von Leistungen sei eine entsprechende Zulassung bei den Kassen, welche die Sanitätshäuser natürlich besitzen, der Fahrradfachhandel Speedy-Bike dagegen in der Regel nicht. Ihm wird ganz offenbar die Fachkenntnis für eine "behinderten- und therapiegerechte Zurichtung des Hilfsmittels" abgesprochen. Außerdem seien "adäquate Kenntnisse zur Beratung im medizinischen und Rehabilitationsbereich vom fachlichen Leiter des Leistungserbringers zu gewährleisten, eine rein handwerkliche Ausbildung daher nicht ausreichend" - so jedenfalls der Verband der Angestelltenkrankenkassen. Bei persönlichen Gesprächen mit Vertretern der Kassen wurde allerdings eingeräumt, daß man sich mit den neuen Entwicklungen bei den Behinderten- und Rehabilitationsfahrrädern bislang noch wenig befaßt habe. Vielleicht kommt ja doch noch Bewegung in die Angelegenheit.

Die BKK machte übrigens auch noch darauf aufmerksam, daß die gesetzlichen Bestimmungen es nicht zuließen, daß Behinderten- und Reharäder für Jugendliche und Erwachsene erstattet würden. Der Leistungskatalog der Kassen würde lediglich Räder für Kinder beinhalten, und das auch nur mit einer Eigenbeteiligung, da nur bei ihnen ein therapeutischer Nutzen während der Wachstumsphase erzeugt werden könne. Für alle anderen seien die Spezialräder zwar sowohl als Hilfsmittel wie auch als Gebrauchsgegenstand anerkannt, dieses jedoch ohne therapeutische Wirkung. Daher gebe es auch keinen Rechtsanspruch auf Erstattung. Allerdings, so war zu hören, scheint in der Praxis der Spielraum doch größer zu sein als es das Gesetz zuläßt.

Die Redaktion der RAD im Pott würde an dieser Stelle gerne von Betroffenen wissen, wie es denn nun tatsächlich in der Praxis aussieht. Welche Erfahrungen wurden mit derartigen Fahrrädern gemacht, die ja oftmals Spezialanfertigungen darstellen, und wie klappt´s mit den Krankenkassen? Welche Erlebnisse konnten bei Fahrten gemacht werden, wie sehen die Reaktionen der Umwelt aus? Wo gibt es Institutionen und Verbände, die Radtouren mit Behinderten durchführen? In einer der nächsten Ausgaben wollen wir darüber berichten. Bitte schreiben Sie an: Redaktion RAD im Pott, c/o Jörg Brinkmann, Florastr. 42, 45131 Essen.

Die bei den Recherchen für diesen Artikel angefallenen umfangreichen Informationsmaterialien der Hersteller sind in einem Ordner zusammengefaßt worden, der in der EFI/ADFC-Geschäftsstelle im Verkehrs- und Umweltzentrum in der Essener Innenstadt (Maxstraße 11) eingesehen werden kann. Dort befinden sich auch zwei Videos zu diesem Thema, die eine wurde unter dem Titel "...mal was wagen!" vom ADFC Münster erstellt, die andere mit dem Titel "Steig doch um!" stammt von der Firma Draisin.

Jörg Brinkmann in ".RAD im Pott", Winter 1999